
Klettern und bouldern können alle – von klein auf und bis ins hohe Alter. Meint jedenfalls unser Kletterlehrer. In der Halle des Kasseler Alpenvereins wollen wir herausfinden, ob das stimmt. Und welche Sportart zu uns passt.
Und wie geht’s jetzt weiter? Der nächste Griff ist einen halben Meter von meiner rechten Hand entfernt, die linke umklammert einen schmalen Knubbel. Um den nächsten Tritt zu erreichen, müsste ich einen Fuß weit über die Hüfte heben. Meine Muskeln in Armen und Fingern beginnen zu zittern – gleich falle ich.
Sekunden später baumle ich am Seil. Mit den Beinen stoße ich mich von der Wand ab und schaukle gemütlich hinunter zu David Umbach. Vom Gurt des Kletterlehrers führt das Seil über eine Rolle nahe der Hallendecke bis zu meinem Hüftgurt. Ehe ich im Kletterzentrum Nordhessen aus der Wand gefallen bin, habe ich „Zu!“ nach unten gerufen. Für David das Signal, das Seil zu straffen und mich mit dem halbautomatischen Sicherungsgerät nach unten zu lassen.

Sicherheit an erster Stelle
Das Probeklettern startet für meine Begleiterin und mich mit der Wahl der passenden Schuhe.
Je enger, desto mehr Halt bieten die dünnen Gummisohlen. Die Gurte halten ein Gewicht von 2,5 Tonnen aus und werden regelmäßig überprüft, versichert unser Anleiter. Ebenso das Seil, an dessen Ende der drahtige 36-Jährige einen doppelten Achtknoten knüpft. Ob es eine gute Idee war, mit Mitte fünfzig das erste Mal zu klettern? Wir schauen skeptisch die Wände hoch, an die Tausende bunte Tritte und Griffe geschraubt sind.

Wie schwierig die farbig markierten Aufstiege sind, zeigt die Zahl bei den unteren Plastikformen. Los geht’s mit einer einfachen 3+ auf der roten Route „Hitzefrei“. Dann folgt eine 4– auf der weißen „Schäfchenwolke“. Bei der ersten Route
steige ich zügig nach oben, bei der zweiten überlege ich schon länger, welcher Griff und Tritt als Nächstes passt. Bis in 14 Meter Höhe könnte ich klettern – doch wenn ich nach unten schaue, wird mir schon auf der Hälfte flau. Gut zu wissen, dass ich einfach fallen kann, falls mich Kraft oder Mut verlassen.
Links und rechts von uns wird mit weniger Bedenken, trainierten Muskeln und besserer Technik geklettert. Viele kommen zu zweit und wechseln sich beim Sichern ab. Wir staunen über die Fortgeschrittenen, die auch die Überhänge meistern. Eine Kindergruppe ist das erste Mal da – und einige klettern gleich bis zur Decke. Eine junge Frau fährt im Rollstuhl bis zur Wand. Sie zieht sich an den Griffen hoch, Assistierende setzen ihre Füße auf die Tritte. Und nebenan übt eine Gruppe den Vorstieg, bei dem das Seil in Karabiner an der Wand eingehängt wird.

Mit Technik nach oben
Inklusionsklettern und Schüler-AGs, Wettkämpfe in diversen Disziplinen und offene Treffs – in der Halle des Deutschen Alpenvereins ist für alle etwas dabei. „Klettern ist brutal vielfältig“, sagt David, der bis zum Schwierigkeitsgrad 10 klettert. Angefangen hat er mit sechs Jahren in den Alpen und im Kasseler Umland – inzwischen trainiert der Kletterenthusiast den eigenen Nachwuchs: „Du kannst klettern, sobald du laufen kannst und bis du 100 Jahre alt bist.“
Seine Tipps für uns Unerfahrene: Mittig bleiben, Gewicht auf den Vorderfuß, nicht an den Griffen ziehen. Wir sollen mit Technik statt mit Kraft nach oben kommen. Das falle Kindern und Jugendlichen leichter als Erwachsenen, und Frauen leichter als Männern. Letztere würden dank Muskelkraft schnell Fortschritte machen – und dann oft von Frauen überholt, die von Beginn an auf Technik setzen. Die fehlt mir, wie ich auf einer 7er-Route bald merke: zu schwer für den Anfang.

Das Fallen lernen
Ehe alle Kraft verbraucht ist, wechseln wir in die Boulderhalle. Hier ist es ähnlich bunt, aber viele Griffe und Volumen sind größer. Da die Wände nur viereinhalb Meter hoch sind, braucht es kein Seil. Wer abspringt, landet auf Matten, die ich überraschend hart finde. Für den Weg nach unten nutze ich deshalb wie empfohlen die grauen Kunststoffknubbel. Lässt sich das Abspringen nicht vermeiden, zeigt David mit dem „Babyboxer“, wie es richtig geht: Er kommt mit den Füßen auf, geht in die Hocke, rollt über den runden Rücken ab und reckt die Arme angewinkelt nach oben. Beim Bouldern muss man dennoch mehr aufpassen als beim Klettern.
Wer die Absprungtechnik beherrscht, verletzt sich weniger leicht an Armen oder Beinen, aber ein Restrisiko bleibt. Dennoch fühle ich mich dabei wegen der geringen Höhe wohler als am Seil. Ohne Sicherung kann ich hier und dort ausprobieren, welche bunten Knubbel mir liegen. Bouldern ist intuitiver, erklärt unser Kletterlehrer. Während es früher hieß, mit dem Körper nah an der Wand zu bleiben, gelte das inzwischen als „oldschool“. Zum Bouldern kommt man offenbar gerne in größeren Gruppen, schaut sich gegenseitig zu und diskutiert.„Bouldern ist geselliger als Klettern“, meint ein Trainer. Wer sich einmal für eine der beiden Sportarten entschieden hat, bleibt meist in seiner Szene.
Nach unserem Schnupperbesuch tendiert meine Begleiterin zum Klettern: „Ich probiere mehr aus, weil ich mir keine Gedanken ums Fallen machen muss.“ Mir gefällt dagegen, dass ich beim Bouldern außer Schuhen keine Ausrüstung und keine Sicherung brauche – und einfach loslegen kann. Bei welcher Sportart wir einmal landen werden, ist noch nicht klar. Sicher ist, dass wir wiederkommen.
Alles wichtige für deinen Ausflug
Diese Eigenschaften bietet dir diese Route:
Der Einstieg zum Aufstieg
Das Kletterzentrum Nordhessen bietet regelmäßig Kurse für Neulinge und Fortgeschrittene an. Für das Probeklettern gibt es feste und frei vereinbare Termine. Wer danach weitermachen will, kann einen Einstiegskurs buchen. Dabei lernst du das Klettern und Sichern im sogenannten Toprope, bei dem das Seil oben eingehängt ist. Wer mit dem Bouldern starten will, kann ebenfalls an einer Einführung teilnehmen. Die Trainerinnen und Trainer geben Tipps und vermitteln, wie du sicher auf der Matte landest. Auch für fortgeschrittene Boulderfans werden Kurse angeboten.
Tipp
Klettern in der Natur am Dörnberg. Das Klettergebiet am Hohen Dörnberg bietet kurze, aber knackige Basaltrouten und einen tollen Blick ins Habichtswälder Bergland. Bitte Naturschutz beachten, teilweise gibt es saisonale Sperrungen.
Kletterzentrum Nordhessen
Anreise
Mit der Tram 3 oder 7, oder dem Bus 51 oder 53 bis Hasselweg – von dort aus seid ihr in circa drei Minuten zu Fuß vor Ort.
Adresse
Johanna-Waescher-Straße 4
34131 Kassel